Wir brauchen einen starken Ökumene-Minister – und keinen im Abseits
Ein Diskussionsbeitrag
Der reformierte Pfarrer Christoph Knoch (65) ist seit Jahren in der Schweizer Ökumene engagiert. Mit Sorge verfolgt er die Diskussion um Kurienkardinal Kurt Koch. Er hofft, dass er seine Aussagen zurücknimmt – und das Gespräch mit den ökumenischen Partnern sucht.
Christoph Knoch*
Ich schätze Kurienkardinal Kurt Koch. Er hat viele Fragen im ökumenischen und im jüdisch-christlichen Dialog auf den Punkt gebracht. Jetzt aber hat er sich verrannt und kommt wohl aus dem unglücklichen Bezug auf die «Deutschen Christen» nicht mehr heraus.
Mir ist wichtig:
Schrift und Tradition hängen nie im luftleeren Raum. Schrift und Tradition fallen nie vom Himmel, hängen nie am oder im Himmel, sondern sind Teil des Nachdenkens von Menschen aus Fleisch und Blut.
Ob diese Menschen nun zu Priestern, Bischöfen oder Kardinälen geweiht wurden, ob sie ein Studium hinter sich haben, ob sie sich mit Schrift und Tradition befassen, ob sie sich als Teil der Kirche verstehen, ob sie von all dem weit weg sind: Immer leben sie in einer Welt, in der sie Erfahrungen gemacht haben, Erfahrungen machen und auch in Zukunft Erfahrungen machen werden
Wenn ich in die Geschichte der Kirche blicke, dann gilt, dass «Tradition» letztlich verschriftlichte Erfahrungen widerspiegelt. Wenn derzeit auf dem Synodalen Weg vielfältige Erfahrungen des Kirche-Seins zusammengetragen werden und daraus Texte werden, die andernorts gelesen und damit auch diskutiert werden können, so ist das für mich keineswegs eine zusätzliche Offenbarung, wie Kurt Koch festzustellen meint, wenn er dem Synodalen Weg vorwirft, neben Schrift und Tradition in der menschlichen Erfahrung eine zusätzliche Offenbarung zu postulieren.
Ich verstehe, dass Koch sich vor einer «neuen Offenbarung» fürchtet, die daraus einen eigenen Unfehlbarkeitsanspruch ableiten könnte. Doch greift Koch mit seinem Rückbezug auf die «Deutschen Christen» zu einem Vergleich, der komplett falsch ist.
Ich bin entsetzt, dass der Ökumene-Minister so ungeschickt einen Vergleich verwendet, der auf das dunkelste Kapitel der protestantischen Kirchengeschichte zurückgeht, um damit kirchenpolitische Interessen zu beschreiben.
Dass Kardinal Koch eine «neue Reformation» fürchtet, kann ich mir vorstellen.
Doch: Die Spaltung ist längst da.
Für mich ist der Synodale Weg ein Versuch wie jener von Philipp Melanchthon im Jahr 1530, der Kirchenspaltung noch einmal aus dem Weg zu gehen.
Es wäre hilfreich, wenn Kurt Kardinal Koch sich von dem umstrittenen «Tagespost»-Interview distanzieren und sich auf umfassende Gespräche einlassen würde. Mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, aber auch mit seinen ökumenischen Freundinnen und Freunden in der Schweiz, die einen starken Ökumene-Minister im Zentrum der katholischen Kirche brauchen – und nicht im Abseits.
Der israelische Botschafter beim Vatikan, Raphael Schutz, hat einmal klargestellt: «Jedes Mal, wenn jemand etwas mit den Geschehnissen in Deutschland während des Nazi-Regimes vergleichen will, muss man sehr vorsichtig sein und gründlich nachdenken, denn man läuft Gefahr, die Geschehnisse in den dunkelsten Zeiten zu verharmlosen.»
Was könnte Kurt Koch von seinen ökumenischen Freundinnen und Freunden lernen?
Der Ökumenische Rat der Kirchen entscheidet schon länger nicht nach dem Mehrheitsprinzip, sondern im Konsensverfahren.
Blaue, grüne und rote Stimmkarten zeigen, wie die Versammlung denkt. So zuletzt in Karlsruhe.
Kardinal Kurt Koch, Gabriel Strenger und Rabbiner David Rosen, Synagoge Basel, 2015
Im Judentum gehören die Auseinandersetzung mit der (schriftlichen) Tora, der Heiligen Schrift, und der (mündlichen) Tora, die im Dialog von Menschen, weitergegeben wird, ganz zentral dazu.
«Rabbi Jehoschua erhob sich aber sogar jetzt noch: „Die Lehre ist nicht mehr im Himmel. Sie wurde auf dem Sinai öffentlich verkündigt, seither hört man nicht mehr auf Himmelsstimmen. Und in der Lehre heißt es: Die Mehrheit soll entscheiden!“ – Damit wurde die Versammlung aufgehoben. Einige Zeit später traf R. Nathan, ein Teilnehmer jener denkwürdigen Sitzung, den Propheten Elia (der bekanntlich noch heute in Menschengestalt unter uns wandelt). „Was hat man damals im Himmel zu unserem Streit gesagt“, fragte R. Nathan den Propheten. Es antwortete Elia: „Gott hat gelächelt und die Worte gesprochen: ‚Meine Kinder haben mich besiegt…“» Talmud, Traktat Baba Mezia, 59 b. (Übersetzung von Max Brod: Heidentum Christentum Judentum. Ein Bekenntnisbuch. Erster Band. München 1921, S. 77-79)
Seither wird diskutiert und diskutiert und diskutiert. Bis zum heutigen Tag. Darin besteht das Lernen im ökumenischen wie im interreligiösen Dialog. Das Lernen ist nie abgeschlossen.
Wäre es nicht hilfreich, unsere innerkirchlichen wie unsere ökumenischen und interreligiösen Streitfragen in einem Modell aus talmudischem und konsensorientiertem Dialog zu diskutieren und so unsere Kirche zukunftsfähig zu machen?
Ich lerne im Dialog mit anderen – immer.
Kurt Koch sicher auch.