20 Jahre Charta Oecumenica – Es gibt keine Alternative zum Dialog!

Am 22. April 2001 unterzeichneten die Präsidenten der Konferenz der Kirchen in Europa (KEK) und des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen die Charta Oecumenica, das Ergebnis eines langen Konsultations-prozesses in Europa. Zwanzig Jahre später trafen sich auf Initiative von Prof. Dr. Barbara Hallensleben alle 16 Mitglieder der AGCK.CH – Kirchen und Gastmitglieder – auf ZOOM, um mit den Generalsekretären von KEK und CCEE und zwei Überraschungsgästen das 20-jährige Jubiläum der Charta zu feiern.

Der erste Überraschungsgast, Rev. Prof. Viorel Ionita, damals Studiensekretär der KEK, erinnerte zu Beginn des Treffens an die Intention der Initiatoren der Charta: «Als der gemeinsame Ausschuss des CCEE uns der KEK auf seiner Sitzung in Rom (Februar 1998) beschlossen hatte, sich gemeinsam auf einen Weg in Richtung Charta Oecumenica zu machen, empfahl er gleichzeitig, dass durch dieses Dokument eine Förderung eines Lernprozesses für eine ökumenische Kultur und eine Kultur des Dialogs in Europa erzielt wird. Während der Entstehung dieser Charta hatten viele Stellungnahmen dazu auf das Risiko aufmerksam gemacht, dass die Debatte [] bei Begriffen oder bei vermuteten theologischen Formulierungen stecken bleiben könnte …

«Die Charta ist nicht einfach als ein Text, sondern viel mehr als Prozess zu betrachten.»  Rev. Prof. Viorel Ionita

Der gesellschaftspolitische Kontext der letzten zwanzig Jahre ist geprägt von zwei globalen Phänomenen: Einmal ist der Terrorismus, der sich nach nicht ganz fünf Monaten nach der Unterzeichnung der Charta Oecumenica mit den Terroranschlägen auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York erheblich ausweitete. Das andere Phänomen ist die im letzten Jahr ausgebrochene Covid-19-Pandemie. In dieser Periode erlebten wir die beachtliche Erweiterung der Europäischen Union und dem damit verbundenen Enthusiasmus in der ersten Dekade. Das zweite Jahrzehnt hingegen ist gekennzeichnet durch mehr Spannungen und den Brexit. Viele Kirchen erlitten in dieser Zeit einen starken Verlust an Mitgliedern. Im Untertitel der Charta findet sich die Wortverbindung wachsende Zusammenarbeit. Diese Zusammenhänge unterstreichen die Notwendigkeit unserer Kooperation noch mehr als früher…

«Wir haben dazu viele Gelegenheiten, zum Beispiel das wachsende Bewusstsein in Bezug auf die Bewahrung der Schöpfung, den Einsatz zur Aufnahme von Migranten und für benachteiligte Personen und weitere hoffnungsvolle Gebiete. Hier möchte ich noch ein Phänomen mit grossem Potential hervorheben: gemeinsame Fusswallfahrten.» P. Martin Michalíček, Generalsekretär des CCEE

In der Schweiz, haben die Mitgliedskirchen der AGCK.CH die Charta am 23. Januar 2005 in St-Ursanne unterzeichnet. Sie gilt als Kompass für die ökumenische Zusammenarbeit auf jeder Ebene, lokal, kantonal und national. Sie hat auch der gegenseitigen Taufanerkennung wichtige Impulse verliehen.

Im Bereich des interreligiösen Dialogs haben einige evangelisch-reformierte Kantonalkirchen den Dialog mit dem Islam ausdrücklich in ihre Kirchenordnungen aufgenommen. In Bern wurde das Haus der Religionen ins Leben gerufen. Es werden zahlreiche Möglichkeiten für interkonfessionelle Begegnungen angeboten, und in der Schweiz gibt es nun einen Schweizerischen Rat der Religionen. Die Einführung eines jährlichen Tages des Judentums im Jahr 2011, um die Verbindungen zwischen Judentum und Katholizismus zu bezeugen, war eine echte Erneuerung in den katholisch-jüdischen Beziehungen. Vielleicht könnten sich andere Kirchen anschliessen?

Die Minderheitenkirchen sind dazu prädestiniert, eine Brückenfunktion bei zwischenkirchlichen Konflikten zu übernehmen, weil sie als Folge ihrer Minderheitenperspektive eine höhere Sensibilität gegenüber kirchlicher Machtausübung oder gar Machtmissbrauch an den Tag legen und kritischer auf eine theologische Überhöhung bzw. Rechtfertigung von nationalen oder sprachlich-kulturellen Besonderheiten reagieren. Bei einigen der Begegnungs- und Dialogplattformen ist es interessant, dass die Initiative, die Leitung und der «Motor» von Laien ausgehen, die über die konfessionellen Grenzen hinweg zusammenarbeiten, z.B. in der ökumenischen Cursillo-Bewegung, die wesentlich zur Einheit und Zusammenarbeit innerhalb der englischsprachigen christlichen Gemeinschaft in Genf beiträgt.

«Wir sehen es auch heute als eine unserer hauptsächlichen Aufgaben, die Vernetzung von Christen in der Ökumene zu fördern. Zwar besteht die Gefahr, dass sich der Austausch zu stark mit den gegenseitigen Beziehungen befasst, indessen ist in der Praxis der Ökumene ein grosses Engagement für die gemeinsamen Anliegen feststellbar, wie etwa bei allen Aktivitäten unter dem Motto Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung.» Pfarrer Daniel Konrad, Christkatholische Kirche

Die Bewahrung der Schöpfung hat heute einen festen Platz in den Kirchen gefunden, viele Christinen und Christen engagieren sich für den Klimaschutz. Nach orthodoxer Fassung kann aber die Harmonie zwischen den Menschen und der gesamten Schöpfung nicht einfach durch politisches Handeln hergestellt werden.

«Die Gründe der Zerstörung der Schöpfung Gottes sind vor allem spirituelle und können aus diesem Grund nur durch die geistige Heilung des Menschen behoben werden.» Pfarrer Stefanos Athanasiou, Ökumenisches Patriarchat

Herausforderungen aus heutiger Sicht
Die grösste Herausforderung für Minderheitskirchen mit Migrationshintergrund besteht darin, ihr reiches theologisches und liturgisches Erbe zu bewahren und ihren Mitgliedern zu helfen, sich zu integrieren, ohne ihre kirchlichen Wurzeln zu verlieren.

Die Charta ruft zu einem Engagement für die Welt. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn Staaten und ihre Regierungen die Einforderung von Menschenrechten und Umweltschutz als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachten. So bleibt es eine wiederkehrende Herausforderung, diese Anliegen auf der Agenda zu halten.

Im Blick auf das Gespräch mit anderen Religionen und Weltanschauungen liegt eine Herausforderung im Unterschied der christlichen Konfessionen. Wer ist Ansprechpartner, wer spricht für wen? Die drei Landeskirchen sind in den institutionellen Plattformen auf nationaler Ebene vertreten (Rat der Religionen), die anderen Kirchen verfügen oft nicht über Ressourcen, um Beziehungen im eigenen Namen zu pflegen, obwohl sie vielerlei Kontakte auf lokaler Ebene pflegen.

Mehrere Beteiligte erwähnten die zunehmende Säkularisierung in der Schweiz und das sich verändernde Verhältnis des/der Einzelnen zur Religion, bzw. zur eigener Kirche, als wachsende Herausforderung. Und dennoch: Unsere Gesellschaft braucht Hoffnung!

«Unsere Zeitgenossen sprechen eher von Spiritualität als von einem Gemeinschaftsleben, das um eine Kirche herum gelebt wird. Es scheint, dass wir den Preis für eine normative christliche Position zahlen, die sicherlich wichtige Grundlagen für unsere Zivilisation geliefert hat, die aber nicht mehr dem entspricht, was die Gesellschaft von uns erwartet.» Majorin Christine Volet, Heilsarmee

In all unseren kirchlichen Traditionen und auch nebenbei entstehen neue Formen von Gemeinschaften, die mit neuen, unorthodoxen und unkonventionellen Ekklesiologien der gegenwärtigen Zeit Rechnung tragen wollen. Ekklesiologie muss zum Thema werden. «Darin sehen wir heute eine der grossen Herausforderungen der Ökumene angesichts der ökonomischen, soziologischen und theologischen Realitäten», laut Pfarrer Stefan Gisiger für den Bund Schweitzer Baptistengemeinden.«Gesamteuropäisch stelle ich in den letzten Jahren Ermüdungserscheinungen bezüglich der Dialoge zu Glaubensfragen fest.» Bischof Patrick Streiff, Ev.-methodistische Kirche

Im Laufe des Anlasses haben sich die Kirchen gegenseitig eingeladen, ihre Verpflichtungen zu erneuern. In diesen Selbstverpflichtungen kommt eine realistische und ehrliche Ökumene zum Ausdruck, die auch heute nichts an Aktualität eingebüsst hat …

«Denn die Charta Oecumenica ist nicht von einem Geist der Verzagtheit geprägt, sondern von einem Geist der Zuversicht, der uns der gemeinsamen Glaubensüberzeugung vergewissert, dass die Ökumene das grossartige Werk des Heiligen Geistes ist.» Kardinal Kurt Koch

Die Feier am 22. April endete, vor dem gemeinsamen Gebet und Segen mit dem Auftritt des zweiten Überraschungsgastes, Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Bei der Bilanz zeigt sich, dass keine ökumenische Errungenschaft definitiv ist. Die Kirchen müssen «am Ball bleiben» und einen innovativen Geist beweisen, damit sich eine echte ökumenische Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit (Zitat aus dem Prolog der CO) nachhaltig etabliert. Die Charta bleibt eine ständige Verpflichtung!

Bericht: Anne Durrer

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