Ökumene: «Wir verstehen uns gut, what’s next ?»

National, Regional
Pfarrer Reymond wurde in Karlsruhe von Christoph Knoch fotografiert

Interview mit Pfarrer Antoine Reymond

Der reformierte Pfarrer Antoine Reymond aus der Waadt hat sich schon immer für die Suche nach der Einheit in ökumenischen Kreisen bewegt. Er wird demnächst in den Ruhestand gehen, und dies ist die Gelegenheit, mit ihm über den Zustand der Ökumene in der Schweiz zu sprechen.

Antoine Reymond «badete» in der Ökumene seit seiner Kindheit, nachdem er im Alter von 12 Jahren einige Wochen in der Gemeinschaft von Taizé verbracht hatte. Ökumene ist mehr als die Zusammenarbeit mit Partnern aus anderen Konfessionen, sie ist eine Lebenswirklichkeit, sie schafft einen Raum zum Atmen, dank der theologischen Öffnung, die die Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Konfessionen mit sich bringt. «Sie bleibt eine unerschöpfliche Bereicherung der Spiritualität und des eigenen Weltbildes», betont Antoine Reymond, der froh ist, nicht auf eine einzige «Theologie» festgelegt zu sein.

Als Synodalrat der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Waadt erhielt Pfarrer Reymond den Auftrag, mit den kantonalen Behörden die Umsetzung des Waadtländer Gesetzes über die Beziehungen zwischen dem Staat und den öffentlich anerkannten Kirchen nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung zu verhandeln. Alles, was diese Kirchen gemeinsam tun können, müssen sie auch tun, das ist eine ökumenische Forderung, die vom Staat her gekommen ist: Das hat sich darin niedergeschlagen, dass der Staat, insbesondere im Bereich der Seelsorge, den Kirchen bestimmte Aufgaben übertragen hat.

Zeit für eine Bilanz
Wenn Antoine Reymond nun Bilanz zieht, stellt er fest, dass «Theologinnen und Theologen ihre Arbeit getan haben»: es gibt zahlreiche Vereinbarungen, doch «die Umsetzung der neuen Aufgaben ins Leben der Kirchen bleibt schwierig». Er verwies auf das Buch des Theologen André Birmelé* «L’horizon de la grâce» (Der Horizont der Gnade), in dem der Autor betont, dass «viele Themen, die zu Spaltungen zwischen den Kirchen geführt haben, jetzt der Ort eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses sind, die Grundlage für eine versöhnte Vielfalt», aber das Ziel ist das Teilen des Brotes an einem Tisch. Dieses Ziel bleibt weiterhin in der Ferne. Wir sind seit Jahren an diesem Punkt festgefahren.

«Es schreit heute regelrecht danach, am gleichen Tisch zu kommunizieren. Das wird immer dringender, je mehr wir zusammenarbeiten und -wirken.»

Strategische Optionen
Antoine Reymond sieht drei strategische Optionen für die Ökumene:
– eine Ökumene in Schützengräben, in der zwar miteinander gesprochen wird, aber aggressiv, – oft aus Unkenntnis des Erreichten oder aus kirchlicher Selbstgefälligkeit –, aber jeder bleibt bei sich: sich selbst kennen, bevor man miteinander diskutiert!
– eine Salon-Ökumene, die wenig fruchtbar ist,
– eine Ökumene der Herzen, wie sie von Papst Franziskus propagiert wird. Diese Strategie lässt die «grossen» Fragen (z.B. die Amtsfrage) auf der Seite und konzentriert sich auf den Wunsch, es gut zusammen zu haben. «Aber was geschieht mit der Arbeit der Kommission Glaube und Kirchenverfassung und der Groupe des Dombes, die zu kirchlicher und persönlicher Umkehr aufrufen?», gibt er zu bedenken.

Hierarchie der Wahrheiten
Wie steht es mit ethischen Auseinandersetzungen: Sind sie Gift für die ökumenischen Beziehungen? Diese Fragen polarisieren sicherlich, sowohl innerhalb der Konfessionen als auch zwischen den Konfessionen. Antoine Reymond erinnert jedoch an den Begriff der Hierarchie der Wahrheiten. Ethische Fragen haben nicht das gleiche Gewicht – theologisch, kirchlich und spirituell – wie der Glaube an Christus, an Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Inwiefern sind abweichende Meinungen akzeptabel? Stellen sie meine/unsere Zugehörigkeit zum Leib Christi in Frage? Wir müssen immer wieder zu unserer einzigartigen/eigenen Identität als Nachfolgerin und Nachfolger Christi zurückkehren und nach der Einheit in der Vielfalt suchen.

Heutzutage herrscht die Meinung vor, man solle sich selbst gut kennen, bevor man mit anderen diskutiert; aber es ist die Diskussion mit anderen, die uns herausfordert und zu einer Erweiterung des Bewusstseins und zur Umkehr führt. Bei allen kirchlichen Projekten sollten die Kirchen – vor einer Entscheidung – systematisch nach den Auswirkungen auf die ökumenischen Partner fragen, auch wenn dies Zeit und Energie braucht.

Einheit des Leibes Christi, Einheit der Menschheitsfamilie
Die Art und Weise, wie die Kirchen institutionell organisiert sind, macht es natürlich nicht einfacher, nach Lösungen zu suchen, die uns der Einheit näher bringen, so ist es «immer der/die andere, die dafür verantwortlich sind, wenn ein Projekt nicht vorankommt». In den 1980er Jahren dachte man, die Einheit der Kirche Christi wäre ein «Werkzeug» zur Förderung der Einheit der Menschheitsfamilie, «aber dazu wir sind nicht in der Lage!»

Ein komplizierter Übergang
Die Entwicklungen in Europa schwächen die Kirchen; diese Schwächung kann uns näher zusammenbringen, kann aber die Kirchen auch dazu verleiten, sich auf sich selbst zurückzuziehen und zu verknöchern. «Die Sorge um die Einheit hat in unseren Kirchen leider einen viel zu geringen Stellenwert. Wir sind ziemlich gut in der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen, aber weniger gut in der institutionellen Umsetzung, die auf Einheit abzielt. Dieser Übergang bleibt kompliziert.»

Die ökumenischen Plattformen müssen also durchhalten und mobilisiert bleiben!

Interview : Anne Durrer, AGCK.CH mit einem grossen Dank an Antoine Reymond
Deutsche Fassung: Anne Durrer und Christoph Knoch

* Der 1949 geborene elsässische lutherische Theologe, der Mitglied von Glauben und Kirchenverfassung war, ist Autor von « L’horizon de la grâce : la foi chrétienne, Olivétan et Le cerf, 2013

Biographisches
Der reformierte Pfarrer Antoine Reymond war 20 Jahre lang als Gemeindepfarrer tätig, bevor er in den Synodalrat seiner Kirche, der Église évangélique-réformée du canton de Vaud, gewählt wurde. Er ist von Jugend an engagiert im ökumenischen Dialog: Er war viele Jahre lang Delegierter seiner Kirche in der CECCV (Conseil des Églises chrétiennes dans le canton de Vaud) und in der Plenarversammlung der AGCK Schweiz. Er ist in der Ökumene regelrecht zu Hause.

Er ist Mitglied der Groupe des Dombes. Die Groupe des Dombes wurde 1937 gegründet und verbindet katholische, reformierte, orthodoxe und lutherische Theologen und Theologinnen. Sie traf sich in der Zisterzienserabtei Dombes in der Nähe von Lyon, deren Namen sie bis heute beibehalten hat. Er befasst sich mit den Beziehungen zu den staatlichen Behörden und der Rolle der Kirchen in einer säkularisierten Gesellschaft. Antoine Reymond hatte zahlreiche politische Mandate inne.