Patriarch von Konstantinopel stellt Fragen zur Zukunft der Ökumene in Europa

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Seine Allheiligkeit, der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I | Albin Hillert/CEC

Der Ökumenische Patriarch und geistliches Oberhaupt der Weltorthodoxie, Bartholomäus I. nimmt als einer von vier Hauptreferenten an der 16. Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) teil, die noch bis zum 20. Juni im estnischen Tallinn tagt. Er spricht zum Thema Ökumene und Europa.

«Celebrating Unity Amid Differences»

In seinem Referat stellt der Patriarch von Konstantinopel einige herausfordernde Fragen zur Zukunft der Ökumene in Europa. «Der Zweck unserer heutigen Anwesenheit ist es, den ökumenischen Geist unter unseren verschiedenen Kirchen, Gemeinschaften und Konfessionen zu feiern und zu bekräftigen, indem wir respektvoll auf die lange Geschichte der ökumenischen Beziehungen in Europa und in der ganzen Welt zurückblicken und gleichzeitig nach vorne auf die immensen Herausforderungen schauen, die vor uns auf dem Kontinent und in der ganzen Welt liegen», sagt er.

«Wie wir wissen, hat die ökumenische Bewegung nach den verheerenden Folgen der beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert an Dynamik gewonnen.» «Aber diese ökumenische Bewegung gedieh in einem ganz anderen Europa als dem, das wir heute kennen und in dem wir leben», stellt Bartholomäus I. fest». «Als christliche Kirchen können wir nicht mehr davon ausgehen, dass sich die Europäer mit den nationalen Kirchen oder überhaupt mit einer bestimmten Form des Glaubens identifizieren werden.»

Der Ökumenische Patriarch beschreibt ein Europa, in dem sich die religiöse Landschaft dramatisch verändert hat. «Heute mag die Teilnahme an den Gottesdiensten in den Kathedralkirchen der Grossstädte ausreichend sein, aber die Teilnahme an den Gottesdiensten in den Vororten kleinerer Städte ist schwach», stellt er fest. «Dort wird die Religiosität als Minderheit wahrgenommen».

Anschliessend erörtert er den Zweck oder das Ziel der ökumenischen Bewegung in einem solchen Europa. «Welche Rolle oder Verantwortung spielt die Religion in einem solchen Europa?», fragte er und beschrieb eine zerstörerische neue Ökumene, die im Wesentlichen eine Kraft der Spaltung und Zerstörung sei. «Wir sehen die Folgen dieser spaltenden und zerstörerischen Mentalität ganz deutlich im derzeitigem brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine und in der Rechtfertigung dieses Krieges durch die Russisch-Orthodoxe Kirche als Rettung der Ukraine vor der angeblichen Verführung durch einen gottlosen, säkularen und liberalen Westen», beklagt der Patriarch.

Heute habe die Rhetorik, der so genannten Kulturkriege, jede Möglichkeit des Dialogs ernsthaft gefährdet und den Kern der Ökumene beschädigt, stellt er fest. «Als christliche Gemeinschaften müssen wir uns zunächst ein Gefühl der Demut zu eigen machen und akzeptieren, dass auch wir für diesen Rückgang der Ökumene verantwortlich sind», sagt er. «In unserer ökumenischen Bewegung – in der Unterschiede anerkannt und respektiert werden, in der unterschiedliche Stimmen artikuliert und gehört werden – müssen wir immer wieder die Frage diskutieren, was wir unter einem christlichen Europa innerhalb einer demokratischen Europäischen Union verstehen.»

Der Ökumenische Patriarch denkt über die Möglichkeit nach, dass ein christliches Europa die Offenheit und den Respekt widerspiegelt, die wir in ökumenischen Kreisen voneinander erwarten. «Kann ein christliches Europa es zulassen, dass alle Stimmen gehört werden, auch die, die Meinungsverschiedenheiten und Unglauben zum Ausdruck bringen?», fragt er. «Hier können wir erkennen, dass unsere Unterschiede unsere Einheit nicht untergraben können. Auch hier können wir an das glauben, was durch gegenseitigen Respekt und soziale Gerechtigkeit möglich ist.»

Referat (PDF, auf Englisch)

Deutsche Übersetzung: CBS KULTUR INFO