ENCC-Treffen 27.2. – 1.3.2023 in Brüssel: Ein Bericht

International
Im Garten | Bild: KEK

Nach vier Jahren Pause aufgrund der Pandemie trafen sich Ende Februar 2023 die Generalsekretär*innen (GS) der ENCC (European National Councils of Churches oder nationalen Kirchenräte, darunter die AGCK für die Schweiz) auf Einladung der KEK erstmals wieder seit 2019 in Präsenz.

Achtzehn Teilnehmende (zwei davon online) sind der Einladung der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) nach Brüssel (Sitz der KEK) gefolgt: Deutschland, Österreich, Schweiz, Ungarn, Tschechien, Polen, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland, Estland, Irland, Wales, England und United Kingdom. Ort des Treffens war das Haus der KEK, das sich in unmittelbarer Nähe zum Berlaymont, dem Hauptgebäude der Europäischen Kommission. Seit dem letzten Treffen 2019 in Rom gab es einen Wechsel des Generalsekretärs der KEK und zwei Online-Meetings (2021 und kurz nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, Ende Februar 2022).

Do less but do it better!
Aufgrund mangelnder finanzieller Mittel musste die KEK ihre Arbeitsweise deutlich verändern. Derzeit stehen 2½ Stellen für Programmarbeit zur Verfügung. Mit ihrem «Call and Witness Strategy» wurde festgelegt, dass die KEK die Stimme der Mitgliedskirchen in der Öffentlichkeit wahrnehmen und damit Anwaltschaft für die Kirchen übernehmen soll. Die KEK versteht sich daher als Gemeinschaft von Kirchen, die als Organisation diese vertritt und dies im Herzen Europas (der EU), wo die Entscheidungen getroffen werden. Dies geschieht in einer Zeit zunehmender Säkularisierung der Gesellschaft und einer Instrumentalisierung der Kirchen. Die KEK versucht ein Hub für «Public Theology» zu sein, bietet ihren Mitgliedkirchen Zugang zu Europäischen politischen Akteuren und Expertise, wie mit ihnen umzugehen sei. Die Urmission der KEK sei somit, dass sich die Kirchen im politischen Raum ausdrucken können.

Emmanuel: Gott mit uns, öffentliche Theologie
Kirche findet nicht nur sonntags statt, sondern während der ganzen Woche. Sie hat eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen, mit verschiedenen Dimensionen (diakonisch, missionarisch und ökumenisch). Mads Christoffersen (GS aus Dänemark) verdeutlichte das am Bild des gemeinsamen Hauses (oikos): Im Bereich der Ökumene geht es um Einheit, Identität und dem Bilden von Brücken. Im Bereich der Ökonomie geht es um Gerechtigkeit, Umgang mit Armut und der Beziehung der Welt. Im Bereich der Ökologie geht es um die gemeinsame Verantwortung für die Schöpfung. Public Theology öffnet aber ein Spannungsfeld zwischen «Identität als Kirche oder Kirchen» und gesellschaftlicher Relevanz. Es gibt auch Themen, die die Kirchen vermeiden, weil sie nicht wissen, wie sie mit unterschiedlichen Sichtweisen umgehen sollen.

Religionsfreiheit: Ein Recht der Menschen, nicht der Religionen
Die Juristin Ksenia Eggert (Uni Leuwen/B) erläuterte anhand von Beispielen von Rechtsfällen die unterschiedlich gestalteten Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in den verschiedenen Ländern der EU. Mit der Säkularisierung der Gesellschaft müssen sich die Kirchen zurechtfinden, die Staaten greifen immer mehr in Bereichen des kirchlichen Lebens: Die Pandemie war ein wichtiges Lernfeld, was den Umgang mit Religionsfreiheit betrifft. Spannungen gibt es in Fragen der Organisation (Anerkennung, Finanzierung), der Bildung (Sexualkunde in der Schule), am Arbeitsplatz (Tragen von religiösen Symbolen), in der öffentlichen Diskussion (Blasphemie, Hate Speech) oder und bei Sicherheitsvorschriften (z.B. im Gesundheitsbereich). Sie stellte fest, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Fragen der Religionsfreiheit nicht immer konsistent ist. Insbesondere die Entscheide im Bereich der Blasphemie / Verletzung religiöser Gefühle stärken in der Regel die Ansichten der Mehrheitsreligion und sind kaum objektiv begründbar. In Fragen, welche die Kirchen spalten, wird der Staat zum moralischen Schiedsrichter (LGBTQ, Gender, Rolle der Frauen).

Beziehungen EU – Kirchen
Über die Beziehungen der EU-Kommission zu Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgruppen sprach Dr. Vincent Depaigne, der dafür zuständige Koordinator der EU. Artikel 17 aus dem Vertrag von Lissabon verpflichtet die Staaten der EU zu einem regelmässigen Austausch mit den Religionsgemeinschaften. Nach einer Tradition ohne Festschreibung gibt es ein jährliches Treffen des Vizepräsidenten der EU-Kommission mit etwa zehn Leitungspersonen von Religionsgemeinschaften und ein jährliches Treffen mit nichtreligiösen Organisationen. Themen waren z.B.: Zukunft Europas, Migration und Asyl, Krieg in der Ukraine, wobei Themen überwiegen, die von der EU genannt werden. Zusätzlich gibt es Treffen mit Expertinnen und Experten, die von den Kirchen zu bestimmten Fragen angefragt werden. Hier ist es Aufgabe der KEK, diese Expert*innen soweit vorzubereiten, dass ein Treffen mit Vertreter*innen von Seiten der EU auch erfolgreich (d.h. verstanden) wird. Als ein Beispiel für wichtige Impulse von kirchlicher Seite auf Entscheidungen der EU nannte Depaigne die Enzyklika Laudato si von Papst Franziskus. Sie war ein wichtiges Dokument für den Green Deal.

Pathways to Peace
Katerina Pekridou stellte von Seiten der KEK das Dokument Pathways to Peace vor. Als die KEK auf Ende Februar 2022 zu einem Vortreffen zur Vorbereitung der Vollversammlung 2023 einlud, war noch nichts absehbar von einem Krieg in Europa. Dieses Vortreffen wurde dann durch die Situation des Kriegsausbruchs dominiert. Schon bald begann die KEK verschiedene Aktivitäten aufzunehmen, wie die Kirchen auf den Krieg(sausbruch) reagieren können. Im Oktober 2022 wurde eine Friedensinitiative gestartet und ein Dokument dazu entworfen: Pathways to Peace mit acht Zielen:

  • Erstens ein Aufruf zu einer Feuerpause über die Weihnachtstage (inzwischen verstrichen).
  • Zweitens braucht es  einen sicheren Ort für Gespräche zwischen kirchenleitenden Personen der Ukraine und Russlands während der KEK-Vollversammlung 2023.
  • Drittens braucht es ein Netzwerk von kirchenleitenden und weiteren Personen zum Austausch und zur Vorbereitung des Friedens zu schaffen.
  • Viertens müsse man für den Wiederaufbau wichtiger religiöser Gebäude in der Ukraine einstehen.
  • Fünftens brauche es Anwaltschaft für Religionsfreiheit für Gruppen und Einzelpersonen, die durch den Krieg betroffen sind.
  • Sechstens will man ein Netzwerk mit europäischen Jugendgruppen stärken, die in Zukunft bei der Friedensarbeit entscheidend mitwirken sollen.
  • Siebtens will man den Austausch zwischen Bürgern Russlands und der Ukraine ermöglichen, die in anderen Ländern Europas leben, denn hier werden zunehmende Spannungen wahrnehmbar, bzw. kommt es zum Abbruch von Beziehungen.
  • Schliesslich soll Achtens ein ökumenisches Konzept von gerechtem Frieden entworfen und unterschiedliche Narrative von Gerechtigkeit und Wahrheit bearbeiten werden.

Kirchenversammlungen: wichtig zur Entwicklung der eigenen Identität
Über die Gestaltung von Vollversammlungen und mögliche Nutzung von Synergien dachte Mario Fischer von der GEKE nach. Er stellt fest, wie wichtig jeweils die gottesdienstlichen Feiern und gemeinsam verbrachte Zeit (z.B. auf zurückzulegenden Wegen) ist. Aufgrund der Pandemie «stauen» sich in den nächsten Jahren mehrere ökumenische oder Kirchenversammlungen:

  • KEK-Vollversammlung im Juni 2023 in Tallinn
  • Lutherischer Weltbund im September 2023 in Krakau
  • Generalkonferenz United Methodist Church im April/Mai 2024 in Charlotte, USA
  • Global Christian Forum im Mai 2024
  • GEKE-Vollversammlung Ende August/Anfang September 2024 in Sibiu
  • World Communion of Reformed Churches 2025 in Chiang Mai, Thailand

Austausch
Beim Treffen fehlte der übliche Austausch über die Aktivitäten der jeweiligen nationalen Räte nicht:

  • Jubiläen: 75 Jahre ACK in Deutschland, 50 Jahre AGCK Schweiz, 100 Jahre Irish Council of Churches, 100 Jahre Gesetz für Religionsfreiheit in Finnland;
  • Gewinnung von ökumenischem «Nachwuchs» durch Jugendtreffen, ökumenische Fortbildungen für Jugendliche und junge Erwachsene (bis 35) in Norwegen, Finnland, Dänemark (Reisefonds für Jugendliche), Italien, Wales, England;
  • Engagement im Bereich Klimagerechtigkeit in Polen (Einführung des Programms Grüner Gockel), Schweden, Italien, Dänemark;
  • Gespräche zu Fragen der menschlichen Sexualität (LGBTQ oder im Sexualkunde-Unterricht) in England und Wales;
  • Rückgewinnung der Kirchenglieder für Gottesdienste (Ungarn), resp. drastische Kürzung finanzieller Mittel wegen Mitgliederrückgang durch die Pandemie (Finnland).

Autorin: Pastorin Esther Handschin, ÖRKÖ/A
(mit Ergänzungen von Anne Durrer, AGCK.CH)